Standuhr mit Wappen Philipps des Guten von Burgund, um 1430 (HG 9771)

Standuhr mit Wappen Philipps des Guten von Burgund, um 1430 (HG 9771)
Inv.Nr.
HG 9771
Zugangsregisternr.
ZR 1943/51
Material
Bronze, vergoldet
Maße
Höhe 48,5 cm
Breite 21 cm
Tiefe 13 cm
Sammlung
Kunsthandwerk bis 1800
Objektuntersuchung
nicht erfolgt
DatumProvenienz
spätestens 1835Eduard von Collalto, erworben von Unbekannte(r) Vorbesitzer [1]
vor 1837Friedrich Simon, erworben durch Kauf von Eduard von Collalto[2]
19.03.1846Friedrich Otto Edler von Leber, erworben durch Kauf von Friedrich Simon[3]
1846Maximilian von Leber, erworben im Erbgang von Friedrich Otto Edler von Leber[4]
1916Marie von Leber, erworben im Erbgang von Maximilian von Leber[5]
spätestens 1926Carl Marfels, Neckargemünd, erworben durch Kauf von Marie von Leber[6]
zwischen spätestens 1926 und spätestens 1936Verbleib unbekannt
spätestens 1936Max Najork, Dresden, erworben von Unbekannte(r) Vorbesitzer [7]
02.06.1943Germanisches Nationalmuseum, erworben durch Kauf von Max Najork[8]
Die Provenienz für den Zeitraum 1933 bis 1945 konnte nicht eindeutig geklärt werden.

Die sogenannte „Burgunderuhr“ wurde 1943 von Max Najork erworben. Ausführliche Angaben zu ihrer Provenienz liefert Ernst von Bassermann-Jordan in seiner Monographie zur Uhr von 1927, die sich wiederum auf Angaben Maximilian von Lebers stützt: 1835 wird die Uhr in einer Reisebeschreibung von Adolf Schmidl im Besitz des Fürsten Eduard von Collalto (geb. 1747) im Schloss Breitensee bei Wien erwähnt. Das Schloss und die Kunstsammlungen erwarb der „reich gewordene[…] Spekulant[…]“ und Sattlermeister Friedrich Simon, der die Uhr wiederum 1846 an Friedrich Otto Edler von Leber (Wien 4.10.1803–11.12.1846 Wien) verkaufte. Nach dem Tod Lebers ging sie an seinen Sohn Maximilian (gest. 3.3.1916 in Wien), der sie 1878 auf der Weltausstellung in Paris zeigte und aus diesem Anlass eine Publikation in französischer Sprache dazu herausgab.[9] Ein zweites Mal war die Uhr im Jahr 1900 auf der Weltausstellung in Paris zu sehen.

Maximilians Witwe Marie von Leber veräußerte die Uhr an den Sammler Carl Marfels aus Neckargemünd, dem es 1926 gelang, sie aus Österreich auszuführen. Marfels bemühte sich, nicht zuletzt mit Hilfe Bassermann-Jordans, intensiv um einen Verkauf, der ihm letztendlich jedoch nicht glückte. Einer der Interessenten war der Mathematisch-Physikalische Salon in Dresden, der jedoch aufgrund von – offenbar unter anderem durch das Auftreten von Marfels genährten – Zweifeln an der Echtheit der Uhr zurücktrat.

In der Literatur findet sich mehrfach die Angabe, Marfels habe die Uhr als Sicherheit für einen Kredit einer Bank beziehungsweise Max Najork in seiner Eigenschaft als Bankdirektor überlassen.[10] Nach Marfels Tod 1929 sei die Uhr in das Eigentum der Bank beziehungsweise Najorks übergegangen, da der Kredit nicht zurückgezahlt worden sei. Bei der Bank handelt es sich vermutlich um die „Frankfurter Bank“, deren Direktor Max Najork (Priebus 10.2.1877–24.2.1945 Freital) von 1922 bis 1925 war, bevor er als Direktor zur Dresdner Felsenbrauerei und der dieser mehrheitlich gehörenden Aktiengesellschaft für Brauereibedarf wechselte.[11] Seit 1936 befand sich die Uhr als Leihgabe Max Najorks im Mathematisch-Physikalischen Salon in Dresden.

In den Museumsakten sind spätestens seit 1939 Kontakte zu Max Najork nachweisbar.[12] 1939 bot Najork dem Museum die Uhr für 125.000 RM an: „Unter Bezugnahme auf unsere Unterhaltung teile ich Ihnen mit, daß ich bereit bin, die Standuhr Philipp's des Guten, falls sie vom Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg, erworben wird, zum Preise von RM 125.000.- zu verkaufen. [...] Gleichzeitig teile ich Ihnen mit, daß der Reichsinnungsverband des Uhrmacherhandwerks, Berlin, an mich mit der Bitte herangetreten ist, ihm die Uhr für die Reichstagung des großdeutschen Uhrmacherhandwerks in Wien vom 23. bis 25. Juli zur Ausstellung zur Verfügung zu stellen, weil der Reichsinnungsverband der Auffassung ist, daß die Ausstellung durch diese allen Uhrmachern bekannte Uhr besonders aktuell gestaltet werden kann.“[13] Auf Anraten Kohlhaußens nahm Najork von dieser Leihgabe offenbar abstand.[14]

Im März 1943 bot Najork die Uhr dem Germanischen Nationalmuseum erneut an und verwies in seinem Schreiben darauf, dass er auf den Rat Kohlhaußens hin „s[einer] Z[ei]t die Unterlagen (Broschüren, Fotografien) der Uhr Phillip’s des Guten Herrn Dr. [Hans] Posse übergeben [habe], der mir damals sagte, daß er zu einem passenden Zeitpunkt eine in Betracht kommende Persönlichkeit auf die Uhr aufmerksam machen würde.“[15]

Angeblich hatte es damals Bemühungen der SA-Führung gegeben, die Uhr als Geschenk für Adolf Hitler zu erwerben.[16]

Das Germanische Nationalmuseum erwarb die Uhr von Najork schließlich im Juni 1943 für 120.000 RM.

Die Tatsache, dass sich die Provenienz der Uhr lediglich bis ins frühe 19. Jahrhundert zurückverfolgen lässt, hat in der umfangreichen Forschungsliteratur wiederholt zu Diskussionen um ihre Echtheit geführt, die seit mehreren Untersuchungen der Uhr in den 1960er und 1970er Jahren als widerlegt gelten.[17] Die Forschungsgeschichte der Uhr sowie ihre Provenienz sind derzeit Gegenstand weiterer wissenschaftlicher Forschungen durch Dr. Heike Zech, GNM.

 



[1] E. Melly: [Rezension zu Adolf] Schmidl 1835[–1839]. In: Blätter für Literatur, Kunst und Kritik 1, 1835, H. 97–100, S. 385–386, 392, 395–396, 399–400, hier S. 385, URL: http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/6260649/ft/bsb10532367?page=405 [16.09.2015]. – Maximilian von Leber: Notice sur l’horloge gothique construite vers 1430 pour Philippe III., dit le Bon, Duc de Bourgogne, Wien 1877, in dt. Übersetzung enthalten in BDA Wien, Ausfuhrmaterialien, 1926-K9-GZ-56Res1926, Familie Leber. Für die Recherchen im Archiv des BDA danke ich Anneliese Schallmeiner, BDA Wien. – Ernst von Bassermann-Jordan: Die Standuhr Philipps des Guten von Burgund. Leipzig 1927, S. 5.

[2] Maximilian von Leber: Notice sur l’horloge gothique construite vers 1430 pour Philippe III., dit le Bon, Duc de Bourgogne, Wien 1877, in dt. Übersetzung enthalten in BDA Wien, Ausfuhrmaterialien, 1926-K9-GZ-56Res1926, Familie Leber. – Ernst von Bassermann-Jordan: Die Standuhr Philipps des Guten von Burgund. Leipzig 1927, S. 6.

[3] Wie Anm. 2. Laut Maximilian von Leber lag ihm beim Verfassen des Textes 1877 die auf den 19.3.1846 datierte und von Simon unterzeichnete Quittung noch vor. Der Preis betrug demnach ca. 2.000 fl., die sich aufteilten auf 700 fl. in bar sowie Altertümer.

[4] Wie Anm. 2.

[5] Wie Anm. 2.

[6] BDA Wien, Ausfuhrmaterialien, 1926-K9-GZ-56Res1926, Familie Leber. – Ernst von Bassermann-Jordan: Die Standuhr Philipps des Guten von Burgund. Leipzig 1927, S.7–8.

[7] 1936 befand sich die Uhr als Leihgabe Najorks im Mathematisch-Physikalischen Salon, Dresden, s. dazu Alfred Leiter: Fälschung oder echt? Eine Betrachtung über die Standuhr „Philipps des Guten von Burgund“. In: Die Uhr. Fachzeitschrift für die Uhrenwirtschaft 12, 1958, H. 21, S. 39–40, hier S. 39. – HA GNM, GNM-Akten K 3423, Hauptmuseumsfonds Rechnungsbelege 1943, Beleg Nr. 43/14, Rechnung Najork, 2.6.1943. – S. außerdem unten zur vermutlichen Verpfändung der Uhr durch Marfels an Najork.

[8] Registrar GNM, Zugangsregister, Inventarbuch, Inventarkarte zu HG 9771 (Kaufpreis 120.000 RM). – HA GNM, GNM-Akten K 3423, Hauptmuseumsfonds Rechnungsbelege 1943, Beleg Nr. 43/14, Rechnung Najork, 2.6.1943, Schriftwechsel Najork mit Kohlhaußen, GNM, 5.3.1943 (Nr. 815), 29.3.1943 (Nr. 815, rückseitig), 3.6.1943 (Nr. 1406), Wilhelm Kriegbaum, Beilngries, an Troche, GNM, 12.3.1946; Beleg Nr. 84/228, Eilfrachtbrief für eine Glasvitrine für die Standuhr, 28.9.1943. – Jahresbericht des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg, Bd. 90 [für 1943/44]. Nürnberg 1944, S. 7–26 (Heinrich Kohlhaußen). – Rainer Kahsnitz: Die Kunst der mittelalterlichen Kirchenschätze und das bürgerliche Kunsthandwerk des späten Mittelalters. In: Bernward Deneke, Rainer Kahsnitz (Hrsg.): Das Germanische Nationalmuseum Nürnberg 1852–1977. Beiträge zu seiner Geschichte. München, Berlin 1978, S. 690–760, hier S. 752, Abb. 384. – S. außerdem die im GNM (Hängeakten der Sammlung Kunsthandwerk bis 1800) erhaltenen Schreiben von Fachkollegen an Kohlhaußen anläßlich des Ankaufs der Uhr. Heike Zech, GNM, danke ich für den Austausch zur Uhr.

[9] Maximilian von Leber: Notice sur l’horloge gothique construite vers 1430 pour Philippe III., dit Le Bon, duc de Bourgogne, Wien 1877, in dt. Übersetzung enthalten in BDA Wien, Ausfuhrmaterialien, 1926-K9-GZ-56Res1926, Familie Leber.

[10] Alfred Leiter: Fälschung oder echt? Eine Betrachtung über die Standuhr „Philipps des Guten von Burgund“. In: Die Uhr. Fachzeitschrift für die Uhrenwirtschaft 12, 1958, H. 21, S. 39–40, hier S. 39. – Hans-Jochen Kummer: Ludwig Strasser. Ein Uhrenfachmann aus Glashütte. Präzisionsuhren aus Sachsen. München 1994, S. 55.

[11] Die Geschichte der BHF-Bank und ihrer Vorgänger-Institute, ca. 2011, S. 52, URL: https://www.fester.de/2fester/fde-bhf-bank-historie.pdf [30.8.2018]. – Im Hauptstaatsarchiv Dresden befindet sich im Bestand 11781, Aktiengesellschaft für Brauereibedarf, Dresden, unter Nr. 346 und 347 der private Schriftwechsel Direktor [Max] Najorks. Die Akten enthalten keine Korrespondenz mit Kohlhaußen oder dem GNM, mit Karl Marfels oder den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, freundliche Auskunft Bernd Scheperski, HStA Dresden, Schreiben vom 29.9.2017. – S. zu Najork außerdem StadtA Dresden, Totenkennzettel der Kriminalpolizeileitstelle Dresden zu Max Najork; freundliche Auskunft Sandra Rother, Email vom 28. August 2018.

[12] HA GNM, GNM-Akten K 132, Ankaufsakten 1939, Najork an Kohlhaußen, GNM, 3.6.1939 (Nr. 2926); GNM-Akten K 421, Verschiedenes 1938–1939, Najork an Kohlhaußen, GNM, 29.6.1939 (Nr. 2921); GNM-Akten K 133, Ankaufsakten 1940/41, Najork an Kohlhaußen, GNM, 10.9.1941.

[13] HA GNM, GNM-Akten K 132, Ankaufsakten 1939, Najork an Kohlhaußen, GNM, 3.6.1939 (Nr. 2926).

[14] HA GNM, GNM-Akten K 421, Verschiedenes 1938–1939, Najork an Kohlhaußen, GNM, 29.6.1939 (Nr. 2921).

[15] HA GNM, GNM-Akten K 3423, Hauptmuseumsfonds Rechnungsbelege 1943, Beleg Nr. 43/14, Najork an Kohlhaußen, GNM, 5.3.1943 (Nr. 815).

[16] Rainer Kahsnitz: Die Kunst der mittelalterlichen Kirchenschätze und das bürgerliche Kunsthandwerk des späten Mittelalters. In: Bernward Deneke, Rainer Kahsnitz (Hrsg.): Das Germanische Nationalmuseum Nürnberg 1852–1977. Beiträge zu seiner Geschichte. München, Berlin 1978, S. 690–760, hier S. 752. – Hans-Jochen Kummer: Ludwig Strasser. Ein Uhrenfachmann aus Glashütte. Präzisionsuhren aus Sachsen. München 1994, S. 55.

[17] S. z.B. BDA Wien, Ausfuhrmaterialien, 1926-K9-GZ-56Res1926, Familie Leber. – Ernst von Bassermann-Jordan: Die Standuhr Philipps des Guten von Burgund. Leipzig 1927. – Max Engelmann: Die Burgunder Federzuguhr um 1430. Halle 1927. – Jahresbericht des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg, Bd. 90 [für 1943/44]. Nürnberg 1944, S. 7–26 (Heinrich Kohlhaußen). – Alfred Leiter: Fälschung oder echt? Eine Betrachtung über die Standuhr „Philipps des Guten von Burgund“. In: Die Uhr. Fachzeitschrift für die Uhrenwirtschaft 12, 1958, H. 21, S. 39–40. – Klaus Maurice: Die deutsche Räderuhr. Zur Kunst und Technik des mechanischen Zeitmessers im deutschen Sprachraum. München 1976, Bd. 1, S. 85–87, Bd. 2, Abb. 77. – Rainer Kahsnitz: Die Kunst der mittelalterlichen Kirchenschätze und das bürgerliche Kunsthandwerk des späten Mittelalters. In: Bernward Deneke, Rainer Kahsnitz (Hrsg.): Das Germanische Nationalmuseum Nürnberg 1852–1977. Beiträge zu seiner Geschichte. München, Berlin 1978, S. 690–760, hier S. 752 (mit weiterer Literatur).

 

Bearbeitung
AE